1. Warum Obergurig keine Kirche hat

Vor vielen hundert Jahren, als es das Dorf Obergurig noch gar nicht gab, lebte an der Spree hier schon ein Wächter der Furt, durch die der böhmische Steg die Spree südlich von Bautzen querte. Es war der Fußweg nach Böhmen, den man mit Packeseln und Pferden, aber ohne Wagen benutzen konnte.

 

Der Wächter lebte am klaren Wasser der Spree vom Forellenfang und von Krebsen, die er in Budissin gegen andere lebensnotwendige Dinge eintauschte. Manchmal erhielt Danibor, so hieß der Sorbe an der Spree, auch einen Silberpfennig, wenn er eiligen Handelsleuten durch die Spree half. War man glücklich aber nass, am anderen Ufer angelangt, so wurden erst einmal die Sachen in der Hütte am Herdfeuer getrocknet, derweil man einen heißen Kräutertee schlürfte.

 

Eines Tages kam ein königlicher Beamter aus Prag. Ihn begleitete seine junge Tochter. Danibor gefiel das Mädchen auf den ersten Blick, er konnte kein Auge von ihr lassen. Sie errötete, als er ihr beim Abschied die Hand gab. Das war dem Vater gar nicht recht, denn er wollte das Mädchen in Budissin verheiraten.

 

Doch es kam wie so oft im Leben anders. Der vorgesehene Bräutigam in Budissin gefiel Vater und Tochter so ganz und gar nicht, so dass nach den Geschäften mit dem Landvogt auf der Ortenburg, die Heimreise nach Prag angetreten wurde.

 

Nun kam es aber, dass im Lausitzer Gebirge ein starker Regen niederging und die Spree über die Ufer trat. So war an der Furt beim Sorben Danibor die Reise zu Ende. Doch dieser wusste Rat. Vater mit Tochter setzten im kleinen Fischerkahn des Sorben Danibor, mit dem er sonst immer die Krebse und Forellen aus der Spree fischte, über. Dabei standen Mädchen und unser Jüngling dicht an einander. Sie konnte ihn tief in die Augen schauen. Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und stürzte in die Fluten. Das Hochwasser riss sie fort, nur noch eine Hand war von ihr zu sehen. Danibor zögerte nicht lange und sprang hinterher. Ein gutes Stück stromabwärts macht der Fluss eine Biegung nach links. Hier konnte sich das Mädchen an einem Ast festhalten. Danibor zog sie aus dem Wasser, legte sie ans Ufer und küsste sie. Ihr Vater war glücklicherweise mit dem Fischerkahn ans Ufer gelangt und an Land hinterhergelaufen. Als er sah, dass seine Tochter lebte, war er sehr froh und sprach zu Danibor: "Du hast ihr das Leben gerettet, ich werde sie Dir zur Frau geben, komme mit nach Prag, dort wollen wir Hochzeit feiern.“

 

Danibor war sehr überrascht und konnte es gar nicht fassen, dass die hübsche Beamtentochter seine Frau werden solle. Aber nach Prag, in die Stadt des Königs, wollte er nicht. Er war es gewohnt auf dem Lande mit der Natur zu leben. Gut, sagte der Vater, dann heiratet ihr in der Kirche zu Großpostwitz, das ist nicht weit von hier.

Aber in dieser kleinen Hütte könnt ihr nicht leben. Auch bringt Deine jetzige Arbeit zu wenig ein, um davon eine Familie zu ernähren. Ich habe in Budissin gesehen, dass die dortigen Mühlen nicht genug Wasser haben. Hier dagegen ist eine starke Strömung, die Wasserkraft für eine große Mühle gibt. Wir werden an dieser Stelle, wo du meine Tochter gerettet hast, eine Mühle bauen. Ich sehe auch weiter stromabwärts am Ufer große Felsen, dort soll ein Steinbruch errichtet werden, der das Material für das Wehr und die Mühle liefert.

 

So kam es, dass als erstes von Obergurig ein Steinbruch entstand, dann ein Wehr und eine Mühle gebaut wurde. Später wurden bei der Mühle weitere Häuser errichtet und auf dem kleinen Berg oberhalb der Mühle ein Rittergut mit Holzhäusern für die Landarbeiter.

 

Der Sorbe Danibor ließ alle seine Kinder und Enkelkinder in Großpostwitz taufen und ging auch dort fleißig in die Kirche. Da das später alle Leute nachmachten, hat Obergurig keine Kirche bekommen.